Weingeschmack: Vom ersten Schluck bis zum Abgang - WineAmigos

Weingeschmack: Vom ersten Schluck bis zum Abgang

February 01, 2019Simon Linke

Alles beginnt mit dem Öffnen der Flasche: Der Eine riecht zuerst am Korken, die andere an der Flasche, um einen ersten Eindruck vom Wein zu bekommen (und ob dieser eventuell korkelt). An den Weingeschmack denkt da noch keiner.

Dann das erste Einschenken ins Glas: Wie verhält sich die Flüssigkeit beim Schwenken? Ist der Wein klar oder trüb? Ist er dickflüssig oder eher dünn? Welche Farbe hat der Wein – und was verrät sie vielleicht schon über dessen Alter und Qualität?

 

Weingeschmack: Weinproben beginnen nicht mit dem Trinken

Die Augen und die Nase sind beim Verkosten von Wein (Fachjargon: Degustieren) unsere ersten Sinnesorgane, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie sich der edle Tropfen später auf der Zunge entwickelt. Eine Weinprobe beginnt daher nie mit dem Trinken. Aber daran merken wir auch: Sie arbeitet darauf hin. Entscheidend ist am Ende immer der Gaumen. Auch der attraktivste Wein taugt nicht, wenn er uns nicht schmeckt. Und Geschmäcker sind nun mal verschieden…

 

Das klingt vielleicht etwas pathetisch: Aber der Geschmack des Weines bringt seinen wahren Charakter ans Licht. Und nur der – zusammen mit dem sogenannten Abgang – entscheidet letztlich darüber, ob uns der Wein mundet oder nicht.

Weingeschmack: Welche Geschmacksrichtungen nehmen wir wahr?

Dabei können wir mit den Papillen auf unserer Zunge bis zu fünf verschiedene Geschmacksrichtungen wahrnehmen und unterscheiden. Allerdings an unterschiedlichen Stellen. Denn unsere Zunge besitzt sogenannte Geschmackszonen, die natürlich bei jedem Menschen anders ausgeprägt sind. Diese liegen vor allem an der Zungenspitze, an den Zungenrändern und ganz hinten an der Zunge (siehe Grafik):

  • Süß: Schmecken wir vor allem an der Zungenspitze. Manche Fruchtaromen im Wein lösen diesen Sinnesreiz aus, aber auch Alkohol, der ja nichts anderes ist als vergorener Zucker.
  • Salzig: Nehmen Sie an den vorderen Zungenrändern wahr. Der Geschmack kommt zwar so gut wie nie im Wein vor. Bemerkenswert aber ist, dass Sie, wenn Sie stark Salziges (etwa Fisch oder salziges Popcorn) zum Wein essen, dessen Geschmackseindruck enorm verändern können. Teils treten die Fruchtaromen in den Vordergrund, mancher Wein wirkt dazu aber auch nur noch wässrig.
  • Sauer: Die Papillen hierfür liegen weiter hinten an den Zungenrändern. Prägend dafür ist die Säure im Wein. Meist schmecken wir sie bei Weißweinen deutlicher als bei Rotweinen.
  • Bitter: Die Geschmackszone hierfür liegt nicht zufällig ganz hinten auf der Zunge – es ist sogar überlebenswichtig: Vieles, was für den Menschen giftig ist, schmeckt bitter. So haben wir – kurz vor dem Herunterschlucken, noch die Chance das Gift wieder auszuspucken. Wein ist zwar nicht giftig, dafür spielen bei dieser Geschmacksrichtung vor allem die enthaltenen Tannine und Gerbstoffe ein Rolle. Sie geben Bitternoten ab und prägen auch den späteren Abgang des Weins.
  • Umami: Der fünfte Geschmack ist noch relativ jung in der Forschung. Der Begriff stammt aus dem Japanischen und steht für "fleischig", "herzhaft", "wohlschmeckend". Kurz: Wenn etwas so richtig lecker schmeckt, ist meist auch Umami im Spiel.

Extra-Tipp: Wein kann auch "fett" schmecken

Hinzu kommt neuerdings noch ein sechster Geschmackssinn: Fett. Tatsächlich können wir, vor allem bei Speisen, auch wahrnehmen wie fettig diese sind – unabhängig davon, ob sie süß, salzig oder bitter schmecken.

Jetzt würde man natürlich annehmen, dass das für Wein nicht gilt – dort ist schließlich kein Fett enthalten. Stimmt – und stimmt nicht: Manche Weine, wie ein reifer Chardonnay oder ein roter Shiraz zum Beispiel, können sich auf der Zunge "fett" anfühlen. Wir haben dann den Eindruck, sie seien dickflüssig, backig oder zäh auf der Zunge. Manche Weinkenner sprechen dann auch von der Textur des Weines. Ausgelöst wird das übrigens durch ein Glycoprotein.

Warum schmeckt Wein pelzig nach Barrique?

Das kann den schönsten Wein verderben: Pelz auf der Zunge. Üblicherweise kommt die begleitende Geschmacksnote bei Weinen vor, die einige Zeit in Holzfässern, sogenannten Barriques, reifen konnten. Dann spricht der Fachmann allerdings weniger von Pelz, sondern eher von Holz oder einer leichten Toastwürze.

Ansonsten ist es aber auch hier wie mit allen Substanzen: Die Dosis macht das Gift. Ein zu dominantes pelziges Mundgefühl – und der Wein macht einfach keinen Spaß mehr.

Aber warum schmeckt Wein überhaupt holzig oder pelzig? Und woher kommt der Geschmack?

Der Effekt besitzt im Fachjargon ganz unterschiedliche Namen:

  • Eichenfassnote
  • Barrique-Gefühl
  • Barrique-Note
  • Adstringenz-Empfinden

Wie Forscher um Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum (RUB) herausfanden, sind aber weder der Geschmackssinn noch unser Geruchssinn dafür verantwortlich.

Für ihre Experimente ließen die Wissenschaftler Patienten mit durchtrenntem Geschmacksnerv Rotwein verkosten. Durch die Behinderung waren sie nicht in der Lage, die oben erwähnten fünf Geschmackssinne wahrzunehmen. Die Barrique-Note aber spürten sie trotzdem auf der Zunge.

Tatsächlich nehmen wir die Eichenfassnote über den sogenannten Nervus trigeminus wahr, der unter anderem Schmerz- und Temperaturempfinden vermittelt.

Weitere Experimente am Smell and Taste Center Florida in Gainesville bestätigten das: Probanden, deren Geschmacksnerv vorübergehend betäubt wurde, schmeckten nichts, spürten das pelzige Gefühl aber weiterhin. Wurde jedoch zusätzlich der Nervus trigeminus ausgeschaltet, verschwand auch die Barrique-Empfindung.

Ausgelöst wird das Adstringenz-Empfinden übrigens durch die sogenannten Gallussäuren. Diese kommen schon in den Traubenkernen vor, aber in noch größeren Komplexen in Eichenfässern. Im Rotwein schließen sich dann viele dieser Moleküle zusammen und wirken entsprechend stark. Pelzig eben.

Extra-Tipp: Wie lange dauert der Abgang

Der Abgang beim Verkosten von Wein (auch "Finale" oder "Finish" genannt) prägt den Weingeschmack ganz entscheidend mit – denn er hallt nach. Obwohl wir den Tropfen schon heruntergeschluckt haben, nehmen wir immer noch Aromen wahr: Fruchtnoten, Säure und eben auch Bitterstoffe. Manche davon offenbaren sich auch ausschließlich erst nach dem Schlucken – im Guten wie im Schlechten.

Bei Weinliebhabern zählt der Abgang zu einem wesentlichen Qualitätskriterium – seine Harmonie genauso wie seine Dauer. Je nach Wein kann das Finale zwischen einer und mehr als zehn Sekunden andauern. Als Faustregel gilt dabei: Je länger der (positive!) Abgang, desto hochwertiger der Wein.

Die Geschmacksangaben auf dem Weinetikett

In der Europäischen Union (EU) sind die Angaben zum Geschmack, auch Geschmacks- oder Süßegrade genannt, genau festgelegt (Verordnung 2002).

Die offiziellen Bezeichnungen in Deutschland sind:

  • Trockener Wein Er darf höchstens 9 Gramm pro Liter (g/l) Restzucker enthalten. Der Säuregehalt darf nicht geringer als maximal 2 g/l sein. (Formel für Restzuckergehalt: Säure +2 ist kleiner/ gleich 9)
  • Halbtrockener Wein Er hat einen Restzuckergehalt von über 9 bis zu höchstens 18 g/l. Der Säuregehalt liegt laut EU-Vorschrift maximal 10 g/l unter dem jeweiligen Restzuckergehalt. (Formel für Restzuckergehalt: Säure +10 ist kleiner/ gleich 18)
  • Lieblicher Wein Hier liegt der Restzuckergehalt zwischen 18 und 45 g/l.
  • Süßer Wein Er besitzt einen Restzuckergehalt, der über 45 g/l angesiedelt ist. Also schon sehr viel, Limonaden beginnen schon bei 50 g/l.

Hinzu kommt die deutsche Sonderbezeichnung "Feinherb". Sie entstand aus dem Wunsch heraus, keinen halbtrockenen, aber auch keinen trockenen oder gar lieblichen Wein zu machen. Aber nach süß sollte bitte auch nicht klingen, denn der verkauft sich in Deutschland nicht so gut. Was lag also näher, als einen Wein zu kreieren, der beide Richtungen so wohlklingend verbindet.

Wichtig: "Feinherb" ist kein Synonym für einen halbtrockenen Wein! Auch ist er nicht, wie die Geschmacksbezeichnung halbtrocken, eine offizielle, von der EU festgelegte Geschmacksrichtung.

Die offiziellen EU-Bezeichnungen für den Weingeschmack gibt es natürlich auch in anderen europäischen Ländern, nur heißen sie da natürlich anders:

 

Beispiel Italien (von trocken bis süß)

  • asciutto
  • abboccato
  • amabile
  • dolce


Beispiel England

  • dry
  • medium dry
  • medium sweet
  • sweet


Beispiel Frankreich

  • sec
  • demi sec
  • moelleux
  • doux (douce)

In Frankreich gibt es bei Schaumweinen (Crémant, Champagner) noch eine herbe Besonderheit, den "extra brut" – einen supertrockenen Wein (auch "ultra brut", "brut zéro" oder "brut intégral" genannt).

Wein-Rituale verbessern den Weingeschmack

Typisch Connaisseur: Jeden Moment des Degustierens zelebriert er auf dramaturgisch höchstem Niveau. Erst das gekonnte Schwenken des Kelchs, dann die Nase tief in das bauchige Glas getaucht, mit seelenwunder Mine das Bouquet tief in die Stirnhöhle gesaugt, einmal kurz genippt, um den Schluck dann noch eine Weile in der Mundhöhle weiter zu schwenken und den Tropfen schließlich in Zeitlupe zu versenken…

Manche Beobachter finden das eher peinlich, die Attitüde eines typischen Weinsnobs. Doch Studien sagen etwas anderes. Derlei Wein-Rituale und sich wiederholende Gesten haben ihre individuelle Berechtigung: teils, weil sie zum Verkosten und Rezensieren eines Weins nötig sind; aber eben auch, weil die Rituale dafür sorgen, dass der Wein besser schmeckt. Ernsthaft.

Die Psychologin Kathleen Vohs und ihre Kollegen von der Universität von Minnesota fanden heraus, dass Probanden, die vor dem Weintrinken präzise und zuvor festgelegte Abläufe absolvierten, Aromen intensiver wahrnahmen und den Wein mit mehr Genuss erlebten.

Bei anschließenden Experimenten im Kernspintomographen offenbarte sich schließlich, dass die ritualisierten Verhaltensmuster das Belohnungszentrum im Gehirn aktivierten – und das, obwohl es eigentlich alles andere als ein Genuss ist, im Kernspintomographen zu liegen.

Fazit: Schwenken Sie also weiterhin ruhig mit großer Verve Ihr Weinglas, riechen Sie am Wein, atmen Sie dessen Geschichte, zelebrieren Sie den ersten Schluck… Der Weingeschmack kann dadurch nur besser werden!

Extra-Tipp: Musik beeinflusst Weingeschmack

Ob uns der Wein schmeckt oder nicht – das hängt auch davon ab, welche Musik gerade im Hintergrund läuft. Kein Witz! Das ist das Ergebnis einer Studie um Adrian North von der Heriot-Watt Universität im schottischen Edinburgh (PDF).

Dazu bat er 250 Probanden ein Glas Wein zu verkosten und den Weingeschmack anschließend zu beurteilen. Allerdings führte er sie dazu in einen von fünf verschiedenen Räumen. Deren einziger Unterschied: Die Musik, die im Hintergrund lief. Die einen tranken Wein zu "Carmina Burana" von Carl Orff, andere bekamen den "Blumenwalzer" von Pjotr Tschaikowsky zu hören, die dritte Gruppe lauschte "Just Can’t Get Enough" von der französischen Band Nouvelle Vague, Gruppe vier hörte die sanfte Ballade "Slow Breakdown" von Michael Brook und im fünften Raum lief gar keine Musik – das war die Kontrollgruppe.

Man sollte meinen, dass die Musik keinerlei Einfluss hätte. Falsch gedacht! Die Orff-Gruppe beschrieb den Wein im Vergleich zur Kontrollgruppe als kraftvoll und schwer, wer hingegen der Ballade gelauscht hatte, fand denselben Wein weich und zart. Die Tschaikowsky-Hörer beschrieben den Wein dagegen als "subtil" und "ausgereift", die Nouvelle-Vague-Probanden nannten ihn "erfrischend".

Adrian North glaubt, dass wir die Eigenschaften der Musik, deren Emotionen und Energie, unterbewusst auf den Weingeschmack übertragen und das Ergebnis entsprechend unterschiedlich schmecken.

Test: Welcher Weintrinkertyp sind Sie?

Über Geschmack lässt sich lange streiten – erst recht über Weingeschmack. Wahr ist aber auch: Wir alle genießen den guten Tropfen unterschiedlich. Die einen mögen ihn nur rot und trocken, andere hassen Roséwein und wieder andere bevorzugen Weine nur aus einer bestimmten Region oder von einer bestimmten Rebsorte.

Neben dem individuellen Weingeschmack entwickelt jeder Weintrinker meist auch noch ein paar Marotten und Eigenarten bei der Art, wie er Wein konsumiert – wie er ihn öffnet, einschenkt oder trinkt. Und die machen uns mitunter zu ganz possierlichen Weintrinkertypen mit manchem Spleen oder gar einer veritablen Macke.

Das kann amüsant sein, vor allem wenn man sich dabei nicht zu ernst nimmt. Deshalb haben wir einen kleinen Selbsttest entwickelt, bei dem Sie herausfinden können, welcher Weintrinkertyp Sie selbst sind – natürlich mit einem Augenzwinkern.

Beantworten Sie dazu bitte einfach die folgenden Fragen…

 

1. Wie ziehen Sie den Korken aus der Weinflasche?

  • A: Mit einem elektrischen Öffner. Sehr bequem.
  • B: Mit einem klassischen Kellnermesser.
  • C: Natürlich mit einem Laguiole Profi Korkenzieher!
  • D: Ich ziehe nicht, ich nutze Druckluft.

2. Besitzen Sie einen Dekanter?

  • A: Wozu? Der Mixer tut’s auch und geht schneller.
  • B: Nein, aber ich lasse den Wein mindestens ein Stunde offen atmen.
  • C: Aber natürlich, sogar aus Kristall.
  • D: Einen für jede Sorte Wein.

3. Wie sehen Ihre Weingläser aus?

  • A: Wie die anderen Trinkgläser auch.
  • B: Jeweils ein Set Rotweingläser, Weißweingläser, Sektflöten.
  • C: Eine vollständige Sammlung feinster Sommeliergläser.
  • D: Einen ganzen Satz handgefertigter Markenweingläser.

4. Wie reinigen Sie diese Weingläser?

  • A: Rein in die Spülmaschine, Spülmaschine an, fertig.
  • B: Im Spülbecken, danach polieren mit dem Handtuch.
  • C: Gar nicht. Die sind zum Trinken zu kostbar.
  • D: Mit klarem Wasser, und vor dem Trinken werden sie aviniert.

5. Wie sieht Ihr Weinkeller aus?

  • A: Sie meinen meinen Kühlschrank?
  • B: Ein Stapel Weinkisten im Keller.
  • C: Ein stets perfekt temperierter und kontrollierter Raum.
  • D: Eine moderne Regalwand im kühlen Keller.

6. Was machen Sie mit den leeren Weinflaschen?

  • A: Ich stelle sie zu den anderen 16 im Flur.
  • B: Ich bringe sie zum Altglas-Container.
  • C: Ich gebe Sie einem befreundeten Künstler, der macht daraus Lampen.
  • D: Ich löse die Weinetiketten ab und sammle sie.

Auflösung zum Weintrinkertest

Na, haben Sie schon eine Idee, welcher Weintrinkertyp Sie sind? Werten Sie nun bitte Ihre Antworten aus: Welcher Buchstabe überwiegt – A, B, C oder D. Dann klicken Sie bitte auf die jeweilige Auswertung:

[Bildnachweis: David Molina by 123rf.com]

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